27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Proprium

Spruch des Tages

Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. (5 Mose 4,9a)

Predigtjahrgänge

  1. Eph 4,25-32
  2. Pred 8,10-14.17
  3. Mt 10,26b-28(29-31) (EV)
  4. 1 Joh 2,7-11 (EP)
  5. 1 Mose 4,1-10 (AT)
  6. Lk 22,(31-34)54-62

Lieder des Tages

  • EG 146 Nimm von uns, Herr, du treuer Gott
  • EG.E 2 Menschen gehen zu Gott in ihrer Not
  • Alternativ EG+ 139 Als träumten wir

Psalm

Ps 126,1-6

Liturgische Farbe

Violett

Gebete

  • Kyrie, Gloria, Tagesgebet

    Hinführung zum Kyrie

    Hörst du, Gott?
    Hörst du die Stimmen der Ermordeten –
    Hörst du das Weinen der Überlebenden?
    Hörst du das Schweigen derer, die vor Schmerz verstummt sind?
    Hörst du den Schmerz der Kinder und Enkel der Überlebenden?
    Kümmert es dich, Gott?
    Wir fragen das – auch viele Jahre nach dem Krieg,
    nach diesem Völkermorden,
    nach der Schoah.
    Denn wir können es nicht fassen:
    Dass das passiert ist.
    Und du hast es nicht verhindert.
    Wie sollen wir dir vertrauen?
    Wozu sollen wir auf dich hoffen?

    Kyrie eleison

    Hinführung zum Gloria

    Sowohl die Hinführung als auch der Gloriagesang können entfallen, da dieser Gedenktag den Charakter eines Bußtages hat. Wenn nur der Gesang entfällt, endet die Hinführung auf „Amen“.

    So spricht Gott:
    Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe:
    Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
    dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
    Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten,
    und ich will euch erhören.
    Ihr werdet mich suchen und finden;
    denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
    so will ich mich von euch finden lassen.
    (Jer 29,11-14a)

    Tagesgebet

    Wir suchen.
    Wir zweifeln.
    Unser Vertrauen in deine Güte wankt.
    Und dennoch kommen wir zu dir, Gott.
    Wir wissen nicht, wohin sonst wir uns wenden sollten.
    Das Grauen ist zu groß.
    Die Last zu schwer.
    Wir kommen zu dir, Gott.
    Denn im Gesicht Jesu sehen wir deinen Kummer.
    In der Gestalt Jesu sehen wir, wie du mitleidest.
    Nicht allmächtig erscheinst du.
    Sondern zerbrechlich.
    Stelle dich neben uns, Gott.
    Weine mit uns.
    Trauere mit uns.
    Und aus dem Weinen und Trauern gib uns Kraft.
    Damit solches Morden nie wieder passiert.

  • Eingangsgebet für die einfache Form

    Sag uns, Gott, wie kann es sein.
    Dass Menschen Menschen töten.
    Auf diese Weise.
    Kalt.
    Maschinell.
    Ohne Gnade.
    In Gaskammern erstickt.
    Durch die Kamine gejagt.
    Und nichts blieb übrig.
    Außer Asche.
    Außer Berge von Kinderschuhen.
    Außer einer Unmenge an Säcken von Frauenhaaren.

    Wir sind jetzt hier und denken dran.
    An die Opfer.
    An die Täter.
    Und wissen nicht, was wir dir sagen sollen.
    Stammeln etwas von: Schuld.
    Oder: Scham.
    Oder: Verantwortung.
    Und fragen auch:
    Wo warst du, Gott, als das geschah?
    Hast du nicht hingesehen
    nach Auschwitz und Treblinka,
    nach Buchenwald und Sobibor?

    Sag uns, Gott, wie kann es sein?
    Dass Menschen Menschen töten.
    Auch heute.
    Dass Hass sich wieder breit macht.
    Gegen Jüdinnen und Juden.
    Gegen Schwule und Lesben.
    Gegen Afrikaner, Muslime, Andersgläubige.
    Sag uns, Gott, wie kann es sein?
    Dass Völkisches Denken von den Stammtischen
    in unsere Parlamente zieht?

    Hast du ein Auge auf uns?
    Siehst du, was Menschen Menschen antun?
    Hassen, hetzen, verletzen.
    Sag uns, Gott, was willst du tun?
    Und sag uns, Gott, was können wir tun?
    Lass uns nicht allein.
    Gib uns Phantasie für den Frieden.
    Und Träume, die uns in Bewegung setzen.
    Wir brauchen dich.

  • Fürbitten

    mit Liedruf (z. B. 178.9)

    Wir stehen vor dir, Gott.
    Mit Trauer im Herzen – über dieses Morden.
    Wir bitten dich für alle, die das Grauen überlebt haben.
    Die verfolgt waren wegen ihres Glaubens,
    wegen ihrer politischen Meinung,
    wegen ihrer sexuellen Orientierung.
    Jüdinnen und Juden.
    Sinti und Roma.
    Menschen der Länder,
    die von Deutschen überfallen und ausgeplündert worden sind.
    Verletzt an Leib und Seele bis heute.
    Heile ihre Wunden.

    Liedruf

    Gott, wir bitten dich für die Kinder und Enkelkinder der Überlebenden.
    Viele träumen die Albträume ihrer Vorfahren.
    Auch sie – infiziert vom Grauen.
    Bis heute.
    Wir bitten für die, die als Kinder Bombenterror und Vertreibung erlebt haben.
    Aufgewachsen im Schweigen der Nachkriegszeit.
    Geplagt von den Erinnerungen.
    Tröste sie alle.

    Liedruf

    Gott, wir bitten dich für die Menschen in den Kriegsgebieten heute.
    In Syrien und Irak, in Süd-Sudan und Nigeria, in Afghanistan
    (je aktuelle Länder nennen).
    Wir bitten für die Frauen und Männer in Angst vor Bomben.
    Tag für Tag – und es nimmt kein Ende.
    Für die Kinder, die ihr Lachen verloren haben.
    Sei bei ihnen.

    Liedruf

    Wir bitten dich für alle,
    die die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben.
    Für die Juden, Christen, Muslime, Andersgläubige und Ungläubige
    – die nicht müde werden, nach der Gerechtigkeit zu suchen.
    Wir bitten für die Menschen,
    die ihre Vorurteile beiseiteschieben.
    Für die Menschen in unseren Regierungen,
    bei den Vereinten Nationen und Friedensgruppen,
    die an Alternativen zum Krieg glauben.
    Stärke sie.

    Liedruf

    Gott, in der Stille nennen wir dir die Namen der Menschen,
    die uns besonders am Herzen liegen.

    Stille

    Du Gott des Friedens,
    wir sind dankbar,
    dass wir in einem demokratischen Europa leben.
    Wir reden miteinander.
    Wir besuchen einander.
    Wir pflegen Freundschaften.
    Wir bitten dich: Erhalte uns den Frieden.

Liedvorschläge

  • Eingangslied und Vorschläge zu den Predigtjahrgängen

    Eingangslied

    EG 295 Wohl denen, die da wandeln

    Vorschläge zu den Predigtjahrgängen

    I: Eph 4,25-32
    EG 236 Ohren gabst du mir
    EG-HN 615 Kehret um, und ihr werdet leben
    EG-HN 631 In Gottes Namen wolln wir finden
    EG-HN 633 Sanftmut den Männern!

    II: Pred 8,10-14.17
    EG 389 Ein reines Herz, Herr, schaff in mir
    EG 543 Alles ist eitel (Kanon)

    III: Mt 10,26b-28(29-31) (EV)
    EG 72 O Jesu Christe, wahres Licht
    EG 379 Gott wohnt in einem Lichte
    EG-HN 612 Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst
    EG-HN 614 Lass uns in deinem Namen, Herr

    IV: 1 Joh 2,7-11 (EP)
    EG 593 Licht, das in die Welt gekommen
    EG+ 40 Schenke mir, Gott, ein hörendes Herz

    V: 1 Mose 4,1-10 (AT)
    EG 237 Und suchst du meine Sünde
    EG 382 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
    EG+ 85 Hinneh ma tov uma na’im

    VI: Lk 22,(31-34)54-62
    EG-HN 585 Ich rede, wenn ich schweigen sollte
    EG-HN 614 Lass uns in deinem Namen, Herr
    EG+ 127 Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut

Besondere Gestaltung

  • Variante 1: Oświęcim – Auschwitz

    Hinführung und Gebet mit Einwürfen aus 1 Mose 4,8-10

    Für mehrere Leser*innen

    Oświęcim – Auschwitz.
    Ein kleiner polnischer Ort an der Weichsel.
    Viele Felder drumherum.
    Eisenbahnlinien aus allen Himmelsrichtungen führen dahin.
    Eine gute Lage für ein Konzentrationslager – aus der Sicht der deutschen Nationalsozialisten.
    Hierher haben sie 1,5 Millionen Menschen transportiert.

    Kain sprach zu seinem Bruder Abel:
    Lass uns aufs Feld gehen!

    Auschwitz I, das Stammlager.
    Es wurde 1940 von der deutschen SS errichtet.
    Polnische Intellektuelle waren hier eingesperrt,
    politische Häftlinge, Kriminelle, Sinti und Roma,
    Zeugen Jehovas, Homosexuelle, sowjetische Kriegsgefangene
    und vor allem: Jüdinnen und Juden.
    In Block 10 von Auschwitz I fanden die medizinischen Versuche statt.
    Sie waren qualvoll.
    In Block 11 war das Lagergefängnis.
    Hier wurde gefoltert.
    Dazwischen war die „schwarze Wand“, die Hinrichtungsstätte.
    In Block 24a war das Lagerbordell.
    In Auschwitz I starben zwischen 60.000 und 70.000 Menschen.

    Kain sprach zu seinem Bruder Abel:
    Lass uns aufs Feld gehen!
    Und Kain erhob sich gegen seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

    Auschwitz II-Birkenau – das Vernichtungslager.
    Es wurde 1941 errichtet.
    250 Baracken für 100.000 Menschen.
    Zusammengepfercht auf engstem Raum.
    Ziel: die industrialisierte systematische Vernichtung von Juden, Sinti und Roma.
    Hier gab es vier Gebäude mit mehreren Gaskammern.
    In Auschwitz-Birkenau wurden  zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet.
    Davon waren 90 % Jüdinnen und Juden.

    Und Kain erhob sich gegen seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

    Auschwitz III-Monowitz – das Arbeitslager.
    Es wurde 1942 von der deutschen Firma IG-Farben errichtet.
    Für 11.000 Menschen.
    Hier arbeiteten Menschen als Sklaven.
    Hier starben zwischen 20.000 und 25.000 Menschen.

    Kain schlug seinen Bruder tot.

    Mitte Januar 1945:
    Die SS holt 60.000 Häftlinge aus den Lagern Auschwitz.
    Zu Fuß sollen sie nach Westen marschieren.
    Ein Todesmarsch.
    Die Deutschen wollen ihre Taten vor der anrückenden Roten Armee vertuschen.
    Warum sind sie nicht einfach abgehauen?
    Warum mussten sie weitermachen.
    Morden, quälen, erniedrigen.
    Etwa 15.000 Menschen starben auf den Todesmärschen.

    Und Gott sprach zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?

    Die Befreier kamen gegen 15 Uhr in Auschwitz an.
    Am 27. Januar 1945.
    Keiner der sowjetischen Soldaten wusste, was sie erwartet.
    Sie fanden in den Lagern von Auschwitz Überlebende.
    7000 Menschen, ungefähr.
    Halbverhungert, schwer krank, apathisch.
    600 Leichen lagen verstreut im Lager herum.
    Viele der Überlebenden starben auch in den Tagen nach ihrer Befreiung.
    Sie waren zu schwach.

    Und Gott sprach zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?
    Kain sprach: Ich weiß nicht;
    soll ich meines Bruders Hüter sein?
    Gott aber sprach: Was hast du getan?
    Die Stimme des Blutes deines Bruders
    schreit zu mir von der Erde.

    Wir beten:
    Hörst du, Gott?
    Hörst du die Stimme des Blutes der Ermordeten?
    Hörst du das Klagen der Überlebenden?
    Hörst du das Schweigen derer, die vor Schmerz verstummt sind?
    Hörst du das Weinen der Kinder und Enkel der Überlebenden?
    Kümmert es dich, Gott?
    Wir fragen das – denn wir können es nicht fassen:
    Dass das passiert ist.
    Und du hast es nicht verhindert.
    Wie sollen wir dir vertrauen?
    Wozu sollen wir auf dich hoffen?

    Stille und evtl. Musik

    Und doch kommen wir zu dir, Gott.
    Wir wissen nicht, wohin sonst wir uns wenden sollten.
    Das Grauen ist zu groß.
    Die Last zu schwer.
    Wir kommen zu dir, Gott.
    Denn im Gesicht Jesu sehen wir deinen Kummer.
    In der Gestalt Jesu sehen wir, wie du mitleidest.
    Nicht allmächtig erscheinst du.
    Sondern zerbrechlich.
    Stelle dich neben uns, Gott.
    Weine mit uns.
    Trauere mit uns.
    Und aus dem Weinen und Trauern gib uns Kraft.
    Damit solches Morden nie wieder passiert.

  • Variante 2: Die Opfer benennen

    Hinführung und Gebet

    Über 60 Millionen Menschen waren es.
    In den Jahren von 1933-1945.
    Ermordet, verhungert, zerbombt, gefallen.
    In Konzentrationslagern vernichtet,
    als wären sie keine Menschen.
    Über 60 Millionen tote Menschen.
    Durch die Schuld der Deutschen.
    Die meisten waren aus der Zivilbevölkerung.
    Männer, Frauen, Kinder.
    So viele Kinder.

    27 Million Menschen aus der Sowjetunion
    6 Millionen Menschen aus Polen, davon etwa 3 Millionen jüdisch
    407.000 US-amerikanische Soldaten
    560.000 Menschen aus Frankreich
    356.000 Menschen aus dem Vereinigten Königreich
    413.000 Menschen aus Griechenland, davon 325.000 aus der Zivilbevölkerung
    220.000 Menschen aus den Niederlanden, davon 105.000 jüdisch
    Und viele weitere Tote aus anderen Ländern.
    Insgesamt 6 Millionen Jüdinnen und Juden
    Über 220.000 Sinti und Roma
    200.000 kranke und behinderte Menschen
    Mehrere Tausend Homosexuelle
    Tausende Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und andere, die widerstanden haben.
    6,2 Millionen Deutsche

    Dazu die vielen traumatisierten Menschen.
    Zerschmetterte Leiber.
    Zerschmetterte Seelen.
    Männer. Frauen. Kinder.
    Und auch die nachkommenden Generationen,
    die die Wunden fühlen – bis heute.
    Wie kann so etwas geschehen?
    Solch ein Verachten!
    Solch ein Töten!

    Wir ringen um Antworten.
    Immer wieder – und vergeblich.
    Das Erschrecken bleibt.
    Und die Erkenntnis:
    Der Mensch ist fähig, so etwas Böses zu tun.
    So etwas abgrundtief Böses.

    Wir bekommen keine Antwort auf die Fragen.
    Und dennoch müssen wir sie stellen.
    Leidenschaftlich und hartnäckig.
    Um zu lernen, dem Bösen zu widerstehen,
    das immer wieder auftaucht.
    Rassismus.
    Diese dumme Angst vor dem Fremden.
    Diese engstirnige Überheblichkeit.
    Dieser böse Hass, der sich in den digitalen Medien versteckt
    oder so tut, als wäre das was ganz Normales.

    Darum kommen wir zusammen.
    Wir brauchen einander für den Frieden.
    Die Gesichter der Nächsten.
    Die sich gemeinsam himmelwärts richten.
    Lasst uns vor Gott treten und ihm sagen:

    Wir kommen zu dir Gott,
    mit Trauer im Herzen,
    mit der Sorge: es könnte wieder passieren
    und mit der Sehnsucht nach Frieden.
    In der Stille sagen wir dir, was uns bewegt.

    Stille

    Musik/Lied