Zur Gebetssprache

Hinweise und Anregungen

von Doris Joachim

Was sollen wir beten? Und in welche Redeformen bringen wir unser öffentliches Beten im Gottesdienst? Da gibt es einfache grammatische Methoden, die mehr sind als rhetorische Tricks. Die sprachliche Gestalt des Gebetes macht etwas mit dem Inhalt und der inneren Haltung der Betenden und umgekehrt: Die innere Ausrichtung der Betenden bringt elementare Worte hervor, die berühren und bewegen. Dieses Ineinander von Form und Inhalt wird in den folgenden Beispielen exemplarisch anschaulich gemacht. Sie zeigen nicht, wie es „richtig“ wäre. Sie wollen vielmehr anregen, mit der eigenen Gebetssprache zu experimentieren.

Die meisten Beispieltexte beziehen sich auf die Fürbitten. Dies liegt nicht nur daran, dass ich hier die interessantesten Praxisbeispiele gefunden habe. Fürbitten zu formulieren gehören meiner Beobachtung nach zu den größten Herausforderungen des öffentlichen Betens. Die Hinweise und Anregungen lassen sich gut auf die Gebete in der Eingangsliturgie übertragen.

Diese Hinweise und Anregungen stellen wir Ihnen auch als PDF-Datei in der Downloaddatenbank auf der Website des Zentrums Verkündigung zur Verfügung. Weitere Hinweise zu Sprache und Inhalt des Gebetes finden sich im „Liturgischen Wegweiser durch den Gottesdienst in der EKHN“ ab Seite 39 (III Exemplarische Liturgische Stücke).

  • Sich auf wenige Themen konzentrieren und sie vertiefen

    Das Hören und Mitbeten von Fürbitten wird erleichtert, wenn sich das Gebet auf wenige Anliegen beschränkt. Die einzelnen Bitten werden intensiver, wenn sie vertieft und ausgeführt werden. Im folgenden Beispiel (Gebet im Advent) werden die Sätze dekomprimiert. Das heißt: Die einzelnen Anliegen, die in einem einzigen Satz genannt werden, werden auf mehrere Sätze verteilt und vertieft. Dafür entfallen dann weitere Anliegen und Bitten, um das Fürbittgebet insgesamt nicht zu lang werden zu lassen.

    Wir bitten für unsere Kirche, für die Pfarrerinnen und Pfarrer, dass sie das Wort des Friedens glaubhaft bezeugen, dass es Menschen Hoffnung gibt, die in Angst sind, dass es diejenigen aufrüttelt, die in falschem Frieden leben, dass es uns allen die Geborgenheit schenkt, nach der wir uns sehnen.

    Änderungsvorschlag:

    Gott, wir beten für die Pfarrerinnen und Pfarrer.
    Von ihnen wird viel erwartet.
    Sie sollen deinen Frieden bezeugen. Mitten im Trubel der Adventszeit.
    Gib ihnen Gelassenheit.

    Wir beten für die Menschen ohne Hoffnung.
    Sie spüren das im Advent besonders.
    Sei ihnen nahe.

    Wir beten für alle, die Angst haben.
    Vor der Weihnacht. Vor dem Alleinsein. Vor der Zukunft.
    Gib ihnen Trost.

    Wir beten für alle, die ihre Augen verschließen vor der Not der anderen.
    Mache ihre Herzen weit.

    Gott, wir sehnen uns nach Geborgenheit in dieser Zeit.
    Gib uns deinen Frieden.

  • Sich auf das Wesentliche konzentrieren

    Wenn wir uns innerlich mit denen verbinden, für die wir beten, kommt das Wesentliche in den Blick. Da können manche zusätzlichen Informationen entfallen. So wird das, was uns am meisten am Herzen liegt, stärker hervorgehoben. Bei dem folgenden Beispiel werden kurze Sätze verwendet, und es wird auf einen „Lass-Satz“ verzichtet. Auch werden mit „und“ verbundene Bitten („… und gib ihnen die Durchhaltekraft“) in zwei getrennte Sätze gefasst.

    Gott, wir bitten dich für die Menschen in der Ukraine, die seit einem Jahr für ihre Freiheit und für die Anlehnung ihrer Kultur und Wirtschaft an den Westen kämpfen und die von ihrer Regierung unterdrückt und mit Gewalt bedroht werden. Lass sie den Mut nicht verlieren und gib ihnen die Durchhaltekraft, weiter für ihre Freiheit einzustehen.

    Änderungsvorschlag:

    Gott, wir bitten dich für die Menschen in der Ukraine.
    Sie wollen frei sein.
    Dafür nehmen sie Gefahren auf sich.
    Gott, sieh hin, was da geschieht.
    Sieh diese Menschen an.
    Gib ihnen Mut.
    Gib ihnen die Kraft durchzuhalten.

  • Für die Beschreibung von Situationen möglichst Verben verwenden

    Gebete können unmittelbar ansprechen, wenn möglichst viele Verben verwendet werden. Bei dem folgenden Gebet wurde auch versucht, konkrete Informationen, die die Betenden besonders bewegten, als Apposition anzufügen. Dieses Gebet (auch in seinen hier nicht abgedruckten Teilen) beschreibt die Situation der Menschen, für die gebetet wird sehr konkret, ebenso die emotionale Betroffenheit der Betenden. Auch wenn Gott diese Informationen nicht braucht, so kann es sein, dass wir als Betende es brauchen, Konkretes zu beschreiben, um uns im Gebet mit denen zu verbinden, für die wir beten, und auch mit denen, mit denen wir beten. Darin sind uns die Psalmbetenden Vorbilder.

    Mit Schrecken und mit Empörung denken wir an die Menschen, die jetzt nach Afghanistan in Elend und Rechtlosigkeit abgeschoben werden sollen.

    Änderungsvorschlag:

    Jetzt sehen wir: Menschen werden nach Afghanistan abgeschoben.
    Nächsten Mittwoch.
    Ins Elend.
    Wir sind erschrocken.
    Wir sind empört.

  • Durch kleine Wiederholungen Gebete intensivieren

    Zum Beispiel:

    Freude und Wonne – das willst du für uns, Gott.
    Das willst du für alle Menschen.
    Aber so ist es nicht, nicht überall.

    Ähnliches ist auch bei einem Bibelwort möglich:

    Lass dir an meiner Gnade genügen, sagt Christus zu Paulus,
    lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. (2 Kor 12,9)

  • Wichtiges in Hauptsätzen sagen

    Ein Inhalt kann deutlicher hervortreten, wenn ihm ein Hauptsatz gewidmet ist.
    Statt:

    Wir beten zu Gott, der mit uns Frieden geschlossen hat.

    könnte formuliert werden:

    Gott hat mit uns Frieden geschlossen. Zu ihm/ihr beten wir.

  • Aus Nebensätzen Hauptsätze machen

    Manche Konjunktionalsätze können in Hauptsätze umgewandelt werden. Die Anliegen bekommen damit stärkeres Gewicht.

    Statt:

    Öffne unserer Augen, damit wir deine Güte sehen.
    Öffne unsere Lippen, damit wir dir Lob singen.

    könnte formuliert werden:

    Öffne unsere Augen – dann sehen wir deine Güte.
    Öffne unsere Lippen – dann singen wir dir zum Lob.

  • Aufzählungen in kurze Hauptsätze fassen

    Liturgische Texte werden intensiver, wenn sie in kurzen Hauptsätzen sagen, was bewegt. Das gilt insbesondere bei Aufzählungen. Dabei können die Sätze stets gleich beginnen. Mehr als drei Aufzählungen müssen je nach Situation gut bedacht werden, denn sie könnten eintönig oder inflationär wirken.

    Wir wissen, dass es Unglücke, tödliche Unfälle und Gewalt gibt.

    Änderungsvorschlag:

    Wir wissen: Es gibt Unglücke. Es gibt tödliche Unfälle. Es gibt Gewalt.

  • Am Schluss eines Satzes den Inhalt verstärken

    Statt einer adverbialen Bestimmung mitten im Satz kann ein einzelnes Wort oder eine Wortgruppe angefügt werden. Dies verstärkt, worum es hauptsächlich geht.

    Statt:

    Gott, die Toten sind für immer bei dir.

    ein Satz mit Beifügung:

    Gott, die Toten sind bei dir. Für immer.

  • Dass-Sätze überprüfen

    Gebetsanliegen werden häufig in Dass-Sätzen formuliert. Das ist oft stimmig. Es kann aber hilfreich sein, mit anderen grammatischen Formen zu experimentieren und gelegentlich auf diese Konjunktion zu verzichten. Das hilft, in der Gebetshaltung zu bleiben und indirekte Imperative an die, für die gebetet wird, zu vermeiden. Das folgende Gebet könnte auch durch die Kürzung stärker wirken.

    Wir bitten dich für alle, die in der Welt für Recht und Frieden sorgen sollen,
    dass sie sich erinnern lassen an Gottes Gebot
    und ihre Pläne und Entscheidungen,
    ihren Umgang mit  Macht und Gewalt daran ausrichten.

    Änderungsvorschlag:

    Wir bitten dich für alle, die für das Recht in der Welt sorgen sollen.
    Und für den Frieden.
    Gott, erinnere sie an deine Gebote.
    (Stille und dann folgend ein Liedruf)

  • Gott in verschiedenen Bildern anreden

    Gott ist nicht männlich und nicht weiblich. Er*Sie kann auf verschiedene Weisen angesprochen werden. So wird die Vielfalt biblischer Gottesbilder deutlich. Unsere Sprache kennt bislang in der personalen Beziehung nur zwei Geschlechter: männlich und weiblich. Die Vielfalt biblischer Gottesbilder kann sich darin abbilden, dass wir in der Gottesanrede alternierend mal männliche und mal weibliche Anreden verwenden, ohne ein Genus einseitig zu verfestigen. Zum Beispiel: Ewige*r, Lebendige*r, Schöpfer*in.

    Dabei können Adjektive eher sparsam verwendet werden.

    Statt:

    Barmherziger und gütiger Gott

    eine verbale Auflösung in zwei Sätzen:

    Gott, du bist barmherzig. Du bist gütig.

    oder die Umwandlung in Adverbien als Attribute:

    Gott, barmherzig und gütig.

    In der Anrede im Gebet können auch neutrale Formulierungen als Apposition gewählt werden, ohne aus Gott ein „Es“ zu machen. Zum Beispiel:

    Gott, Quelle des Lebens
    Gott, Grund unserer Hoffnung

    Die Ausrichtung der betenden Gemeinde auf Gott wird leichter, wenn die Anrede kurz ist und keine Nebensätze wie z.B. Relativsätze enthält.

    Statt:

    Gott, der du wie ein Freundin oder ein Freund bist

    kurze Appositionen:

    Gott, mein Freund. Meine Freundin.

  • Die Sprache der Stille

    Um sich innerlich miteinander im Gebet zu verbinden, braucht es nicht nur die Worte einer Liturgin oder eines Liturgen, sondern auch die Stille dazwischen. Das gesprochene Wort kann darum karg sein. Es ist die Stille, in der das eigentliche Beten stattfindet.